Durst

Eigentlich sollte es sehr einfach sein: benötigt der Körper Flüssigkeiten, so verspürt man Durst und trinkt. In Wirklichkeit aber ist die Sache um einiges komplizierter, denn in vielen Fällen funktioniert dieser Regelmechanismus über den Durst nicht so, wie es sein sollte. Viele Menschen verspüren also auch dann keinen Durst, wenn sie schon Anzeichen für Trockenheit zeigen oder – in noch verkorksteren Situationen – schaffen es auch dann nicht ausreichend zu trinken, wenn sie Durst haben. In der Chinesischen Medizin sind sowohl Durst und Lust zu trinken als auch deren Abwesenheit Anzeichen für verschiedene Störungsmuster und in der Befundung wichtige Richtungsweiser. Wie also beeinflussen die Muster den Durst und wie sollten wir darauf reagieren?

Hitze

Widmen wir uns zunächst den Fällen, in denen sowohl Durst als auch Lust zu trinken vorhanden sind. Die fleißigsten Trinker sind sicherlich Menschen mit Hitze-Mustern. Für diese Muster ist ein starkes Durstgefühl und Lust auf kühle oder gar kalte Getränke typisch. Die Hitze in diesen Mustern kann mit einer Entzündung zusammenhängen, mit einer Infektion, mit Fieber, mit der Hitze, die durch starke, langanhaltende Anspannung entsteht oder einfach nur mit der Einwirkung von äußerer Hitze. Hitze kann sich in verschiedenen Funktionskreisen bilden oder festsetzen und für den Durst ist es nicht unbedingt ausschlaggebend, wo genau die Hitze sich im Körper ansiedelt, ob in Lunge, Leber oder Herz. Eine Ausnahme macht hierbei nur eine Hitze im Funktionskreis Magen, denn sie wird sich meist besonders stark und eindeutig in Mundtrockenheit, einem brennenden Gefühl im Mund und großer Lust auf kühle Getränke niederschlagen. Was den Magen betrifft hat die Hitze häufig auch ganz banal mit einem zu „heißen“ Essen zu tun: zu viele Gewürze, zu salzige Speisen, Geräuchertes, Gereiftes, Frittiertes oder scharf Angebratenes, all dies kann auch kurzfristig (langfristig sowieso) zu einem heißen Magen führen und wird deshalb gerne zusammen mit einer großen Menge kühlender und gekühlter Getränke verspeist. Für den Organismus ist eine solche Mahlzeit keine harmonische Sache, sondern ein Segeltörn zwischen Skylla und Charybdis.

Ist die innere Hitze sehr stark, so ist der Durst bisweilen geradezu quälend, nur schwer zu stillen und die Betroffenen würden am liebsten ständig an einem Eiswürfel lutschen. Auch kann dann das Gefühl auftreten, dass der Durst nicht nur den Mund, sondern im wahrsten Sinne den gesamten Körper betrifft. Es ist bei diesen Hitzemustern typisch, dass viel, sehr schnell und geradezu gierig getrunken wird und wie schon gesagt meist kühle Getränke. Auf alle Fälle aber gibt es eine klare Abneigung gegen etwas Warmes, vor allem dann, wenn die Hitze den Magen betrifft und die warmen oder gar heißen Getränke direkt mit der Hitze in Kontakt kommen, was sehr unangenehm ist.

Dass bei diesen Mustern viel getrunken wird, ist auch gut so, denn durch die Hitze steigt der Verschleiß an Flüssigkeiten, was über kurz oder lang zu Trockenheit führt, also zu trockenem Stuhl, trockener Haut, trockenen Atemwegen usw. Es ist also durchaus angesagt, viel zu trinken, nur von gekühlten Getränken würde ich auch bei Hitze wärmstens abraten. Etwas Kaltes oder gar Eiskaltes direkt in den Körper zu lassen, ist vor allem für den Magen immer ein Schock und langfristig nie heilsam. In manchen Fällen können gekühlte Getränke sogar selbst zur Entstehung von Magenhitze beitragen. Die Hitze ist hier eine Schutzreaktion des Körpers und kann über die noch weiter gesteigerte Lust auf kalte Getränke in eine Art von Teufelskreis führen. Auch zum Abkühlen bei Sommerhitze ist ein kaltes Getränk nicht geeignet: als Reaktion auf die Kälte im Inneren zieht der Organismus Qi und Blut vermehrt dorthin zurück und die Wärmeabgabe über das Schwitzen wird so erschwert. Also: bei innerer oder äußerer Hitze viel trinken, aber immer Getränke mit mindestens Raumtemperatur, besser noch handwarm. Das allereinfachste Getränk, um Hitze auszuleiten und zu entgiften (denn Hitze geht oft mit der Ansammlung von Toxinen einher), ist Wasser und es wirkt auch dann noch, wenn es nicht zu kalt getrunken wird. Eine noch stärkere Hitze ausleitende Wirkung haben allerdings Grüntee, Kräutertees mit Kamille, Augentrost, Ackerschachtelhalm, Minze, Löwenzahn oder chinesischen Chrysantemenblüten (juhua), Frucht- und Gemüsesäfte mit Maulbeeren, Sanddorn, Zitrone, Melone oder Pflaume, außerdem Sellerie, Tomate oder Gurke. Gerade bei Magen-Hitze kann in all diese Getränke ein Teelöffel Pfeilwurzelmehl (Kuzu) eingerührt werden. Aber Achtung bei Magen-Hitze: viele saure Obst- oder Gemüsesorten wie Zitrone und Tomate klären zwar Hitze, werden bei einem heißen und deshalb meist übersäuerten Magen aber dennoch nicht vertragen. Hält die Hitze lange an, so ist neben den Flüssigkeiten zunehmend auch das Yin in Gefahr. Spätestens dann ist Wasser als Getränk nicht mehr ausreichend und man sollte nach geeigneteren Getränken suchen.

Yin-Mangel und Leere-Hitze

Fehlt das Yin, so kann der Organismus sich nicht ausreichend beruhigen und regenerieren. Wie ein Motor ohne Kühlung und Motoröl läuft der Organismus heiß: es kommt zu Anzeichen von Hitze, die man in der TCM „Leere-Hitze“ nennt, weil sie durch die Schwäche des Yin verursacht werden und nicht durch das Vorhandensein von „voller“ Hitze. Ähnlich wie bei den Hitze-Mustern verspüren die Betroffenen auch hier Durst und meist Lust auf kühle Getränke. Allerdings ist die Wahl kühler Getränke bei weitem nicht so eindeutig und beschränkt sich bisweilen auch nur auf eine Abneigung gegen warme, sodass letztendlich auch lauwarme Getränke oder solche mit Raumtemperatur getrunken werden. Auch die Trinkmengen sind in diesen Fällen nicht sonderlich groß, weshalb man in der TCM von einem „Trinken in kleinen Schlucken“ spricht. Der Mund ist also trocken, Durst wird wahrgenommen, aber der ganze Körper verlangt viel weniger nach Flüssigkeiten als dies bei einer vollen Hitze der Fall ist. Die beste Unterscheidung zur vollen Hitze ist die Tageszeit, zu welcher der Durst auftritt: bei einem Yin-Mangel verstärken sich alle Symptome, so auch Mundtrockenheit und Durst, in den Abend- und Nachstunden. Die Betroffenen trinken deshalb abends besonders viel, stellen sich manchmal auch ein Glas Wasser neben das Bett oder wandern gar nachts in die Küche, um ihren Durst zu stillen. In manchen Fällen kann der Durst sich bei diesen Mustern auch als Appetit auf besonders befeuchtende Speisen bemerkbar machen, weshalb die Betroffenen abends oder nachts Obst, Joghurt oder Rohkost  essen, und das nicht, weil sie Hunger verspüren, sondern allein, um ihren Durst zu stillen.

Im Prinzip ist das keine ganz falsche Handlungsweise, denn bei einem Yin-Mangel benötigt der Organismus viel mehr als nur Wasser. Übersetzt in die Chemie können bei einem Yin-Mangel Vitamine, Spurenelemente, essenzielle Fettsäuren Abhilfe schaffen, also lauter Nährstoffe, die über das Trinken von Wasser nicht geliefert werden können. Ein sehr einfacher Ratschlag bei einem Yin-Mangel ist deshalb: trinke, wenn du isst, und iss, wenn du trinkst. In anderen Worten: iss zum einen sehr suppig, saftig, wässrig und wähle zum anderen Getränke, die neben Wasser noch andere Nährstoffe enthalten. Wertvolle Getränke bei einem Yin-Mangel sind Fruchtsäfte mit Trauben, Birnen, Avocado, Banane, Sanddorn oder Johannisbeeren, ruhig auch cremige Smoothies mit hochwertigen Ölen, Kräutertees zum Beispiel mit Eibisch, Isländisch Moos oder Süßholz, und Milch sowohl tierischen Ursprungs als auch aus Mandeln oder Getreide. Bei einem Yin-Mangel dürfen die Getränke gerne auch leicht gesüßt getrunken werden, zumal wenn dafür Zuckerrohrmelasse oder Vollrohrzucker verwendet wird.

Bei diesen Mustern ist es also nicht nötig, sich zum Trinken zu zwingen, es kann aber durchaus sein, dass die Trinkmengen trotzdem nicht ausreichen und es zu Trockenheit kommt, einfach weil der Bedarf nach Flüssigkeit und Substanz durch die Hitze stark erhöht ist. Die beste Orientierung, was die Trinkmenge betrifft, geben dann Anzeichen für Trockenheit (v.a. in Haut, Stuhl, Schleimhäuten oder Augen) und die Menge und Beschaffenheit des Urins, doch darüber mehr im zweiten Teil dieses Artikels über den fehlenden oder „verschütteten“ Durst.

2 Kommentare zu „Durst“

  1. Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Ich habe die TCM vor einigen Monaten „entdeckt“ und bin total fasziniert von der logischen Herangehensweise. Ich habe eine starke Abneigung gegen kaltes und wache trotzdem gegen 5 Uhr auf, um etwas zu trinken. Tagsüber trinke ich aber genug. Meine Verdauung ist zurzeit gestört und ich versuche suppig zu essen. Haben Sie noch einen weiteren Tipp für mich?

    1. KARIN WALLNOEFER

      Guten Tag Tatjana, sorry für die späte Antwort. Es ist wirklich schwer, auf einen individuellen Fall einzugehen, ohne alle Einzelheiten zu kennen. Im Fall helfe ich gerne in einer Online-Beratung weiter.
      Liebe Grüße
      Karin

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