Die Karotte

Zugegeben, wenn die Karotte in violett oder gelb daherkommt, macht sie ein wenig mehr her. Dennoch, den Anschein des Alltäglichen wird sie nie ganz los. Karotten sind in beinahe jedem Haushalt vorrätig und sie sind mit das erste und letzte, was wir in unserem Leben verdauen können. Ebenso unersetzbar wie bei uns ist die Karotte (胡萝卜, húluóbo) seit vielen Jahrhunderten in chinesischen Küchen und in der Ernährung nach der TCM.

Balsam für das Verdauungssystem

Es gibt wenige Nahrungsmittel, die eine so wohltuende und ausgewogene Wirkung auf die Verdauung haben, wie die Karotte. Von Anfang bis Ende gibt es kaum einen Aspekt der Verdauung, der nicht positiv von ihr beeinflusst würde. Karotten „öffnen den Magen“ und verbessern damit den Appetit. Sie unterstützen die Peristaltik von Magen und Darm und verhindern, dass uns das Essen auf dem Magen liegen bleibt (die TCM spricht hierbei von einer „Nahrungsstagnation“). Was den Magen betrifft, vermag die Karotte zudem einen übersäuerten Magen zu beruhigen und das Qi nach unten zu lenken, sprich Übelkeit und Aufstoßen entgegenzuwirken. Im weiteren Verdauungsprozess unterstützt die Karotte die Leber und stärkt das Qi des Funktionskreises Milz, wodurch aus westlicher Sicht die Aufnahme von Nährstoffen durch den Dünndarm verbessert wird, insbesondere bei Blähungen und weichen, ungeformten Stühlen. Ebenso stärkt und unterstützt die Karotte den Dickdarm, wo sie Darmparasiten bekämpfen und (in gekochtem Zustand!) einem Durchfall entgegenwirken kann.

Hervorragend eignet sich die Karotte auch bei Verdauungsstörungen von Kleinkindern, ja sogar Säuglingen. Bei diesen kommt es durch die noch nicht ganz ausgereifte Verdauungsfunktion relativ leicht zu Nahrungsstagnationen, welche sich in vermindertem Appetit, Blähungen oder Koliken und dem Erbrechen von halbverdautem und übelriechendem Mageninhalt einige Zeit nach einer Mahlzeit manifestiert. Gekochte und pürierte Karotten sind auch in diesem Fall ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, das den Kindern außerdem geschmacklich entgegenkommt. Unabhängig von ihrer leichten Verdaulichkeit können Karotten bei Säuglingen und Kleinkindern allerdings relativ häufig allergische Reaktionen auslösen, weshalb sie im Zuge der Einführung von Beikost (wie im Übrigen nach Möglichkeit alle Nahrungsmittel) einzeln und im Abstand von mindestens fünf Tagen zum nächsten Nahrungsmittel eingeführt werden sollten.

Nahrung für das Blut und die Augen

Die Chinesische Ernährungslehre betrachtet die Karotte zudem als ein ausgezeichnetes Tonikum für das „Blut“, ein Begriff, der unterschiedliche nährende und befeuchtende Funktionen des Organismus zusammenfasst. Im Fall der Karotte stehen dabei vor allem die Augen im Vordergrund. Durch die nährende Wirkung auf das Blut des Funktionskreises Leber stärkt die Karotte die Sicht, verbessert eine verminderte Nachtsicht und befeuchtet trockene, übermüdete Augen, so zum Beispiel nach übermäßiger oder abendlicher Bildschirmarbeit.

Aus westlicher Sicht erklärt sich die Wirkung auf die Sicht wenigstens zum Teil durch den hohen Gehalt an Beta-Carotin, welches vom menschlichen Körper in Vitamin A umgewandelt werden kann und für die Sicht notwendig ist. Die Chinesische Ernährungslehre empfiehlt für eine bessere Sicht zum Beispiel eine Suppe aus Karotten und Schweineleber, eine wahre Vitamin-A-Bombe. Der im Anschluss an den Text beschriebene Tee aus Karotten und chinesischen Chrysanthemenblüten (菊花, júhuā) hingegen verbindet nährende und kühlende Wirkungen und eignet sich als unproblematisches Getränk bei müden, trockenen und/oder brennenden, geröteten Augen, etwa auch in Folge eines Heuschnupfens.

Auch die Fähigkeit der Karotte, die Milchbildung bei stillenden Frauen zu vermehren, hängt nach der Chinesischen Medizin mit deren Blut tonisierenden Eigenschaften zusammen. Milch ist nichts anderes als „weißes Blut“ und kann nur dann reichlich fließen, wenn über die Nahrung ausreichend Blut tonisierende Nahrung umgesetzt werden.

Die Karotte gegen den Husten

Die Chinesische Ernährungslehre empfiehlt die Karotte auch als Stärkungsmittel für die Lunge und zur Beruhigung von Husten. Insbesondere bei einem Husten, der mit Fieber oder entzündlichen Prozessen (die TCM spricht hierbei von „Hitze“ oder „Feuer“) und einer vermehrten Ansammlung von zähem Schleim in den Atemwegen einhergeht, kann die Karotte ihre Wirksamkeit beweisen. Und diese erstreckt sich tatsächlich auf den gesamten Funktionskreis Lunge, also auch auf Rachen und Hals, Rachenmandeln und die Nase.

Die Karotte in der Tumor-Prophylaxe

Die Forschung hat die Wirksamkeit der Karotte im Kampf gegen den Krebst ausreichend belegen können. Die Vorgangsweise der modernen Medizin ist es dabei, einzelne Substanzen zu isolieren, welchen die gesuchte Wirkung zugeschrieben werden kann. In der Chinesischen Ernährungslehre hingegen geht man davon aus, dass die Wirkung der Karotte als Summe aller ihrer chemischen Bestandteile in ihrer Ausgewogenheit und Natürlichkeit nicht von der Wirkung einzelner, höher dosierter Substanzen ersetzt werden kann. Deshalb ist es nach der TCM meist sinnvoller, ein Nahrungsmittel in seiner Ganzheit zu konsumieren und nicht eine isolierte Wirksubstanz.

Die Karotte stärkt das Abwehr-Qi (sprich das Immunsystem), entgiftet, klärt Hitze und Feuer und beseitigt Schleim („Tan“). Nach der Denkungsart der Traditionellen Chinesischen Medizin ist die Entstehung eines Tumors ein sehr komplexes Geschehen, in welchem alle diese und noch weitere pathologische Faktoren eine Rolle spielen können.  Nach der TCM erklärt sich die Wirksamkeit der Karotte gegen Krebs demnach eher als ein Zusammenspiel vieler einzelner Wirkmechanismen, denn als die einzelne Wirkung einer isolierten Wirksubstanz.

Ungeachtet mancher im Netz kursierender Wundergeschichten können wir also ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass eine tägliche Portion Karotten in der Tumor-Prophylaxe, in der Begleitung von Tumor-Therapien und bei der Verhinderung von Rezidiven auf alle Fälle ihren Nutzen hat. Und was die Karotte besonders interessant macht, sind ihre leichte Verfügbarkeit, der angenehme Geschmack und die Sicherheit, auch bei kiloweisem Verzehr keine nennenswerten Nebenwirkungen zu riskieren. Das nachfolgende Rezept für pfannengerührtes Gemüse vereint gleich mehrere Gemüsesorten, von denen jedes einzelne eine Rolle in der Tumor-Prophylaxe spielt.

Roh oder gekocht?

Bleibt eine oft gestellte Frage: essen wir die Karotten besser roh oder gekocht? Die Ernährungslehre der TCM kann auch darauf eine plausible Antwort geben: es kommt darauf an!

Einige der besprochenen Wirkungen der Karotte haben mit ihrer Fähigkeit zu tun, Hitze zu klären. Um diese Wirkungen in vollem Umfang zu erhalten, muss die Karotte roh gegessen werden. Wenn ich mit der Karotte also einen „heißen“, übersäuerten Magen kühlen oder einen Husten mit „Schleim-Hitze“, sprich mit dickem, gelblichem Auswurf und Fieber beruhigen will, so sind rohe Karotten angesagt. Kontraindiziert ist der Verzehr von rohen Karotten hingegen bei Schwäche und Kälte der Milz, also bei weichen Stühlen, Blähungen und anderen Verdauungsbeschwerden, die mit einer inneren Kälte zusammenhängen. In diesem Fall ist die rohe Karotte erstens zu schwer zu verdauen und zweitens zu stark kühlend.

Will ich hingegen schwächelnde Ressourcen stärken, ganz gleich ob Qi oder Blut, so tue ich gut daran die Karotte zu kochen. Qi und Blut stammen aus der Nahrung und müssen erst in körpereigene Substanzen umgewandelt werden, bevor sie als Ressourcen zur Verfügung stehen. Dieser Umwandlungsprozess obliegt den Funktionskreisen Magen und Milz und gelingt mit gekochten, also sozusagen vorverdauten Speisen um vieles leichter als mit rohen, ganz besonders was Obst und Gemüse angeht. Tatsächlich haben Versuche ergeben, dass Beta-Carotin aus gekochten Karotten leichter aufgenommen werden kann als aus rohen, was diese These der TCM bestätigt.

Gekochte Karotten sind also besser geeignet, um das Blut zu nähren, die Sicht zu verbessern, Nahrungsstagnation zu verhindern und die Verdauung zu unterstützen. Zum Nähren von Blut kommen schonende und kurze Kochmethoden unter Verwendung von Wasser zum Einsatz (z.B. dämpfen oder blanchieren), wenn es darum geht das Qi zu stützen, so sollten die Kochzeit länger und die Kochtemperatur höher sein. Die Karotte zu entsaften oder fein zu reiben ist eine Methode, um ihre Verdaubarkeit zu verbessern und gleichzeitig die kühlenden Eigenschaften weitgehend zu erhalten. Was die Krebs-Prävention betrifft, können je nach innerem Gleichgewicht ein Karottensaft oder kurz gekochte Karotten zum Einsatz kommen. Diese Richtlinien gelten übrigens nicht nur für die Karotte, sondern auch für sehr viele andere Nahrungsmittel mit ähnlichen Wirkungen.

REZEPTE

Tee aus Karotten und juhua
1 Karotte, in Scheiben oder Stücke geschnitten
½ Liter Wasser
6 Chrysanthemenblüten (juhua, nur chinesische Chrysanthemen verwenden!)

Die Karotte im Wasser kochen, bis sie weich ist, dann die Chrysanthemenblüten dazu geben und weitere 5 Minuten zugedeckt ziehen lassen. Abseihen und nach Geschmack gesüßt trinken.

Pfannengerührtes Gemüse

2 cm frischer Ingwer, sehr klein gewürfelt oder gerieben
1-2 Zehen Knoblauch, fein gehackt
½ Chinakohl, fein geschnitten
1 Hand voll Shiitakepilze, fein geschnitten
2-3 Karotten, in Scheiben
1 Tasse Sojasprossen
1 EL Essig
1 EL Sojasoße
Olivenöl e.V.

Knoblauch und Ingwer in etwas Öl anbraten, dann das Gemüse dazu geben und unter ständigem Rühren ca. 5 Minuten pfannenrühren („stir-fry“). Sojasoße und Essig untermischen und nochmals kurz umrühren.   

Häschens Cremesuppe
(aus „Il tao e l’arte dei fornelli)

800 g Karotten, in Scheiben geschnitten
1 Zwiebel
3 Salbeiblätter
4-5 EL rote (geschälte) Linsen
1 l Gemüsebrühe Die gehackte Zwiebel und den Salbei in etwas Olivenöl anbraten. Die Karotten und die gewaschenen Linsen dazu geben und 5 Minuten pfannenrühren. Die Gemüsebrühe aufgießen und zugedeckt ca. 30 Minuten köcheln lassen, bis alle Zutaten weich gekocht sind. Die Salbeiblätter herausnehmen und mit einem Pürierstab pürieren. Mit gerösteten Brotwürfeln und etwas Olivenöl servieren.

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