Es gibt ein kluges Sprichwort, das besagt: eine Erkältung dauert mit Behandlung sieben Tage und ohne Behandlung eine Woche. Kann man also nichts Sinnvolles gegen eine Erkältung tun? Die Chinesische Medizin hat die TCM eine Reihe von Ratschlägen parat, für welche es allerdings nötig ist, die einzelnen Phasen einer Erkältung zu unterscheiden. Wir werden im Folgenden von drei Phasen sprechen, die sich vom energetischen Standpunkt her stark unterscheiden.
Erste Phase
Die durch die Poren der Haut eingedrungene Wind-Kälte steckt noch an der Oberfläche des Körpers, also in dem Raum zwischen Haut und Muskeln, in dem auch das Abwehr-Qi zirkuliert. Dieses wird von der eingedrungenen Kälte blockiert, wodurch der für diese Phase typische Schüttelfrost erklärt wird. Das Abwehr-Qi kann die Aufgabe, die Körperoberfläche zu wärmen nicht mehr wahrnehmen, dadurch entstehen Frösteln und eine Abneigung gegen Kälte, die auch durch wärmere Kleidung nur schwer zu besänftigen sind. Auch die leichten Kopf- und Nackenschmerzen haben mit der Stagnation des Qi zu tun. Außerdem können in dieser frühen Phase Niesen, ein leichtes Kratzen oder Gefühl von Wund-Sein im Hals, ein leichter Husten und eine wässrig rinnende Nase auftreten. Falls Fieber vorhanden ist, dann nur sehr leichtes und typischerweise ohne Schwitzen, da die Poren ja durch die eingedrungene Kälte blockiert werden. Diese erste Phase einer Erkältung kann mehrere Minuten oder Stunden dauern, selten zieht sie sich über längere Zeit hin.
Während dieser ersten Phase einer Erkältung haben wir die Chance, die eingedrungene Wind-Kälte wieder zu verjagen, bevor sie in die inneren Organe (im Fall einer Erkältung in den Funktionskreis Lunge) eingedrungen ist. Wir schubsen den ungebetenen Gast gleich an der Haustür wieder zurück nach draußen, noch bevor er sich im Wohnzimmer breitmachen kann. Wir brauchen dafür zwei Dinge. Erstens müssen wir die Tür öffnen; das erreichen wir dadurch, dass wir Schwitzen auslösen. Und zweitens brauchen wir eine Kraft, die wir dem ungebetenen Gast entgegensetzen können. Bei eingedrungener Kälte ist das ganz einfach Wärme. Damit die Stoßrichtung stimmt, muss die Wärme allerdings von innen kommen, ein heißes Bad oder eine Sauna funktionieren also nicht optimal.
Am einfachsten einzusetzen sind Nahrungs- und Heilmittel, die sowohl scharf und schweißtreibend, als auch stark wärmend sind. In der Chinesischen Medizin werden zum Beispiel frischer Ingwer, Frühlingszwiebeln oder Knoblauch eingesetzt. Die Kombinationen dieser Zutaten sind beliebig (möglich sind Tees, Abkochungen, Suppen oder andere Gerichte), die Dosierung sollte aber auf jeden Fall ausreichend sein, um deutliches Schwitzen und eine spürbare Wärme auszulösen, was bei einer heiß getrunkenen Flüssigkeit sicher schneller funktioniert. Bei starkem Kältegefühl kann mit Zimt, getrocknetem Ingwer oder Chili nachgeholfen werden, bei einem empfindlichen Magen empfiehlt sich die Zugabe von Honig oder Süßholz. Viel eingesetzt wird in China ebenso wie auch nach Kneipp ein ansteigendes Fußbad, um Schwitzen auszulösen. Außerdem kennt man in der TCM mit Guasha und Schröpfen zwei sehr gute und einfache Methoden, um die eingedrungene Wind-Kälte von der Körperoberfläche zu vertreiben auch ohne zu schwitzen.
Was in dieser Phase zu vermeiden ist, sind schwere, fette oder stark nährende Speisen. Eindeutige Beispiele wären eine Schweinshaxe oder eine Sahnetorte, aber auch ein gut belegtes Käsebrot kann schon zu viel sein. Diese Speisen haben eine sinkende und nach innen gerichtete Wirkung und können im schlimmsten Fall die eingedrungene Wind-Kälte in das Körperinnere ziehen und dort verankern.
Zweite Phase
In der zweiten Phase dringen die krankheitsauslösenden Faktoren bis in den Funktionskreis Lunge vor, also von der Körperoberfläche in das Körperinnere. Der Organismus reagiert darauf zunächst einmal mit einer Mobilisierung seiner Abwehr. Die Abwehr funktioniert über die Freisetzung von Yang; es entsteht Hitze, also Entzündungsprozesse und Fieber. Durch die Hitze können die im Funktionskreis Lunge natürlich vorhandenen Körperflüssigkeiten eindicken, was zu fest sitzendem Schleim führt, welche ihrerseits das Lungen-Qi und die Körperflüssigkeiten blockieren. Symptome während dieser Phase sind unter anderem ein schmerzhafter und geschwollener Hals, Druck und Schmerzen an Nasennebenhöhlen und/oder Ohren sowie ein oft quälender Husten mit fest sitzendem Schleim. Die Höhe des Fiebers, welches in dieser Phase auftreten kann, hängt direkt von der Stärke des Yang im Organismus ab. Menschen mit einem ausgeprägten Yang-Mangel verlieren oft die Fähigkeit auf eine Infektion mit einem angemessenen Fieberschub zu reagieren, weshalb die Abwehr dieser Krankheiten bei ihnen schwieriger und vor allem langwieriger wird. Kinder dagegen, die normalerweise über sehr viel Yang verfügen, reagieren meist mit hohem Fieber und einem relativ raschen Krankheitsverlauf.
Wichtig in dieser Phase ist es vor allem, den Organismus in seinem Kampf gegen die Krankheitserreger nicht zu behindern. Da das gesamte Yang für die Abwehr eingesetzt werden muss, sollten wir die Arbeit an allen anderen Baustellen vorübergehend einstellen: nicht arbeiten, kaum nachdenken, nicht zu viel stehen (der Druck auf die Fußsohlen aktiviert über den Punkt Niere 1 das Nieren-Yang) und so wenig wie möglich verdauen. Das Beste ist also liegen und schlafen oder vor sich hin dämmern, wozu in unserer hektischen Welt leider so oft keine Zeit bleibt, nicht einmal für Kinder.
Die Ernährung sollte während der Hitze-Phase einer Erkältungskrankheit so leicht wie möglich sein. Oft möchte der Kranke selbst instinktiv wenig bis nichts essen, dann sollte man nicht versuchen, ihn umzustimmen. Zum einen braucht der Organismus sein Yang wie schon gesagt für die Abwehr, zum anderen gelten vor allem solche Speisen als gefährlich, welche das Qi tonisieren. Die TCM verwendet wie so oft ein Bild, um das Problem zu umschreiben. Wenn man während des Kampfes zwischen der körpereigenen Abwehr und dem eindringenden Krankheitserreger Waffen auf das Schlachtfeld wirft, so kann man nicht mit Sicherheit wissen, welche Partei die Waffen aufnimmt und im Kampf einsetzt, die eigenen oder die feindlichen Truppen. Hinter diesem Bild steht wohl die Beobachtung, dass Infektionskrankheiten besonders dann einen schwereren Verlauf nehmen, wenn während der akuten Phase zu stark tonisiert wurde. Besonders die Qi-Tonika, welche in der Prävention von Erkältungen eingesetzt werden können, sind in dieser Phase absolut kontraindiziert, also zum Beispiel Ginseng, Astragalus und Codonopsis, aber auch eine stärkende Hühnerbrühe. Ideal sind gekochtes Gemüse, ein Kompott oder eine leichte, vegetarische Suppe.
Gut ist es außerdem in dieser Phase ausreichend zu trinken, um das Eindicken von Schleim und Körperflüssigkeiten durch die Hitze in Grenzen zu halten. Bei starker Hitze soll diese natürlich nicht noch weiter verstärkt werden, also Hände weg von Alkohol, Kaffee, wärmenden Gewürzen und warmen Fleischsorten. Wird die Hitze zu stark, so kann sie durch kühlende Nahrungsmittel vorsichtig geklärt werden, so zum Beispiel durch etwas kühlendes Obst (Melone, Zitrone, Erdbeeren oder Banane) oder Gemüse (Spinat, Rettich, Gurke oder Chinakohl). Allerdings liegt hier die Betonung auf dem Wort „vorsichtig“: alle Speisen und Getränke sollten mindestens lauwarm sein, um dem erhitzten Körper einen Schock zu ersparen. Keine Sorge, eine Limonade kühlt auch dann, wenn sie warm getrunken wird.
Dritte Phase
Während der dritten Phase, die sich auch mit der zweiten überschneiden kann, beginnt der Organismus mit einer vermehrten Sekretion von Schleim mit dem Ziel, den Infekt zusammen mit dem Schleim auszuleiten. Wichtig in dieser Phase ist es auch wieder, den Organismus zu unterstützen und nicht zu behindern. Der Husten sollte spätestens jetzt nicht mehr medikamentös gestillt werden, um den Schleim vollständig abhusten zu können und eine rinnende Nase sollte unbedingt weiter rinnen dürfen. Aus der Sicht der TCM ist das Problem in dieser Phase meist, dass der Schleim durch Hitze und Trockenheit so stark eingedickt ist, dass er nun nur schwer entfernt werden kann. Typische Rezepte der TCM kombinieren deshalb Nahrungsmittel, die Schleim bewegen, mit solchen, die eine befeuchtende Wirkung auf den Funktionskreis Lunge haben und so den Schleim verdünnen können. So zum Beispiel Rettichsaft mit Honig oder – etwas stärker wärmend – ein mit Zucker gesüßter Zwiebelsirup. Weitere Nahrungsmittel, die Schleim bewegen, sind Thymian, Kürbis, Kren, Ingwer …. und als befeuchtende Zutaten kommen Birnen, Mandeln oder … in Frage. Viel Spaß beim Zusammenstellen von Rezepten.
Die Erholung von der Krankheit kann erst dann beginnen, wenn die letzte Phase der Erkältung abgeschlossen ist, wenn also die Erreger samt dem überschüssigen Schleim vollständig ausgeleitet worden sind. Sehr oft ist die Regenerationsphase nach einer Erkältungskrankheit gekennzeichnet von einem Mangel an Lungen-Qi (spontanes Schwitzen, Kurzatmigkeit, kraftloses Husten) oder Trockenheit und Yin-Mangel (nächtliches Hitzegefühl und Nachtschweiß, trockene Schleimhäute und trockener Reizhusten, der vor allem abends und nachts einsetzt). Doch so lange und lästig diese Erholungsphase auch sein mag, sie ist für den Organismus extrem wichtig, um zu einem gesunden Gleichgewicht zurückzufinden.