Der Grüntee ist aus China nicht wegzudenken. Vom sündteuren und supernoblen Teehaus mit Separees bis zu den mehrmals aufgebrühten Teeblättern in einem mitgebrachten Marmeladeglas kreisen um den Grüntee unzählige chinesische Alltagsriten. Bevor ein Tee getrunken wird, riecht man in China daran wie an einem guten Rotwein und lobt den Duft. Ein schönes Teeservice wird bestaunt wie das neueste Smartphone. Feuerholz, Reis, Öl, Salz, Sojasauce, Essig und Tee, sagen die Chinesen, braucht es an jedem einzelnen Tag. Dass wir uns mit der chinesischen Ernährungslehre befassen, bedeutet ja nicht unbedingt, dass wir den Chinesen in kulinarischen Belangen alles nachzumachen brauchen. In diesem einen Fall aber täten wir wohl gut daran mehr Grüntee zu trinken. Vor allem in den Sommermonaten.
Der Grüntee besteht aus Blattknospen und jungen Blättern der Pflanze Camellia sinensis und wird in China seit Jahrtausenden auch als Arzneimittel eingesetzt. In der TCM werden dem Grüntee eine kühle thermische Wirkung und ein bitterer und süßer Geschmack zugeschrieben. Die Wirkrichtung geht zu den Funktionskreisen Herz, Lunge, Magen und Milz, berührt aber auch Leber und Niere. Sehen wir uns an, wie und wofür wir den Grüntee im Einzelnen einsetzen können.
Die wichtigsten Wirkungen von Grüntee haben mit seiner stark kühlenden Natur zu tun. Grüntee, auch wenn er warm getrunken wird, ist ein ausgezeichnetes Sommergetränk, vor allem dann, wenn die Sommerhitze zu innerer Unruhe oder Kopfschmerzen führt. Natürlich kann Grüntee auch zu anderen Jahreszeiten getrunken werden, um innere Hitze zu kühlen. Besonders hilfreich ist er hier bei Hitze, welche den Kopfbereich betrifft, den Funktionskreis Herz oder den Funktionskreis Magen. Symptome einer Magenhitze, die gut auf Grüntee reagieren, sind Zahnfleischbluten, Aphten, Anfälligkeit für Karies oder schlechter Mundgeruch. Um eine stärkere Wirkung zu erzielen, kann der Mund hier auch mit einem sehr konzentrierten Tee gespült werden. Hilfreich ist der Grüntee auch bei Kopfschmerzen oder Bluthochdruck, welche durch Leber-Feuer oder aufsteigendes Leber-Yang bedingt werden, denn er klärt das Feuer, beruhigt die Leber und führt das Qi nach unten. Um die kühlende, die Leber beruhigende Wirkung zu verstärken, kann der Grüntee wahlweise mit Pfefferminze, der chinesischen Minze (bo he) oder chinesischen Chrysanthemenblüten (ju hua) aufgebrüht werden, was auch geschmacklich nicht von Nachteil ist. Über seine Wirkung auf den Funktionskreis Leber erklärt sich wohl auch die stimmungsaufhellende Wirkung des Grüntees, ein tolles Getränk für grantige Morgenmuffel und für schnell aufbrausende Gemüter also.
Die stark entgiftende Wirkung hat beim Grüntee wohl viel mit seiner Fähigkeit zu tun, Hitze auszuleiten, da die meisten Gifte im Organismus zur Entstehung von Hitze führen. So ist Grüntee sehr wirksam bei einem Kater und kann ganz allgemein allen Menschen wärmstens empfohlen werden, die rauchen, regelmäßig alkoholische Getränke konsumieren oder viel Eiweiß essen. Grüntee ist in diesem Sinne ein sehr gutes Mittel zur Entsäuerung, denn auch eine Übersäuerung geht nach der TCM mit übermäßiger Hitzeentwicklung einher.
Grüntee wirkt relativ stark harntreibend (diuretisch), was sich auch im Selbstversuch unschwer verifizieren lässt. Durch die Kombination dieser Wirkung mit der kühlenden Natur kann Grüntee nach der TCM eingesetzt werden, um Niere und Blase durchzuspülen und Feuchte Hitze auszuleiten, also zum Beispiel bei einer Blasenentzündung, bei Miktionsstörungen und zur Prophylaxe von Nierensteinen. Eine vergleichbare Wirkung hat Grüntee auch auf den Darm und die Gallenblase, weshalb er in der TCM bei akutem Durchfall in der Folge einer Infektion, bei Enteritis, Hepatitis und zur Prophylaxe von Gallensteinen eingesetzt wird, selbst verständlich immer begleitend zur nötigen Behandlung.
Die ausleitende, „reinigende“ Wirkung von Grüntee geht aber noch weiter und betrifft neben Hitze, Feuchtigkeit und Feuchter Hitze auch die sogenannten tan, zu Deutsch meist als Schleim übersetzt. Dabei handelt es sich um verfestigte, hartnäckigere Schlacken und Ablagerungen, die zu mobilisieren nicht viele Nahrungsmittel im Stande sind. Der Grüntee kann es und wird deshalb eingesetzt, um Übergewicht zu reduzieren, den Cholesterinspiegel zu regulieren und um arteriosklerotischen Ablagerungen in den Arterien vorzubeugen.
Eine in China sehr alltägliche Verwendung von Grüntee ist die als Verdauungshilfe. Grüntee zum Essen unterstützt die Verdauung durch den leicht bitteren Geschmack und indem er das Qi nach unten lenkt (eine Hilfe für den Magen und den Stuhlgang). In der TCM gilt Grüntee vor allem bei fettem und proteinreichem Essen als sehr empfehlenswert, also zum Beispiel für alle, die viele tierische Nahrungsmittel zu sich nehmen. Um die Wirkung zu intensivieren kann der Tee auch mit einigen Weißdornfrüchten (Fructus Crataegi) aufgegossen werden, eine in der TCM gerne verwendete Verdauungshilfe mit dem chinesischen Namen shan zha.
Die Welle der Beliebtheit, die der Grüntee derzeit bei uns erlebt, verdankt er vor allem den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die in ihm enthaltenen Polyphenole, allen voran die Gruppe der Catechine, deren bekanntester Vertreter das EGCG ist (so wird der sperrige Name Epigallocatechingallat zum Glück abgekürzt). Die Catechine besitzen hervorragende Eigenschaften als Antioxidantien, im Anti-Aging, zur Unterstützung des Immunsystems, zum Schutz von Herz und Blutgefäßen und – das wohl Wichtigste zum Schluss – als einige der wirksamsten Substanzen in der Tumorprophylaxe. Die Catechine sind nur im unfermentierten Grüntee enthalten, nicht im Schwarztee, und auch hier gibt es große Unterschiede: die japanischen Grünteesorten Gyokuro und Sencha enthalten bedeutend mehr dieser wertvollen Substanzen als die meisten chinesischen Grüntees. Zudem sollte der Tee, hat man es auf diese gesundheitlichen Wirkungen abgesehen, 8-10 Minuten lang ziehen, damit möglichst viele Polyphenole gelöst werden. Natürlich kann man statt dem täglich frisch gebrühten Tee auch auf fertige Auszüge in Kapseln oder Tabletten zurückgreifen. Auch für diese gelten allerdings nach der TCM die nun folgenden Kontraindikationen.
Grüntee ist ein wunderbares und wertvolles Nahrungsmittel, aber dennoch nicht für Jeden und Jede ideal. Da er eine belebende Wirkung hat, sollte er am Nachmittag und Abend nicht mehr getrunken werden, ebenso nicht von Kindern (hier empfiehlt sich eventuell der sehr viel koffeinärmere Bancha-Tee). In der TCM gilt Grüntee bei Schlafstörungen ganz allgemein als kontraindiziert und es wird vor einer Überdosierung gewarnt, welche (durch das enthaltene Koffein) Palpitationen, Schlafstörungen und Kopfschmerzen verursachen kann. Studien haben bei bis zu 20 Tassen am Tag keine ernsten Nebenwirkungen ergeben, 5 bis 10 Tassen könnten wir also ohne Bedenken konsumieren. Die kühlende Wirkung des Grüntees ist nicht gut für Menschen mit Yang-Mangel und innerer Kälte; die stark ausleitende Wirkung kann Trockenheit und Blut-Mangel verschlimmern. Aus westlicher Sicht sollte man vor allem bei Eisenmangel auf Grüntee verzichten, da er aufgebrüht die Aufnahme von Eisen erschwert, oder aber Matcha-Tee trinken, einen japanischen Grüntee in Pulverform, der mitgetrunken wird und damit selbst zu einer guten Eisenquelle wird. Zusammenfassend und vereinfachend kann man sagen, Grüntee passt wunderbar für die heißen, feuchten, dicken Typen und sollte vermieden werden von den kalten, trockenen und sehr mageren. Eine weitere Entscheidungshilfe gibt uns die Ernährung: wer viel Fleisch und Fett und allgemein viele tierische Nahrungsmittel zu sich nimmt, darf auch viel Grüntee trinken; nicht so empfehlenswert ist Grüntee hingegen für Vegetarier oder eher vegetarisch ausgerichtete Menschen, da er mit dem Blut und dem Yang gerade die beiden Ressourcen gefährdet, an denen es Vegetariern sowieso schon häufig mangelt.
Im Folgenden einige beliebte Kombinationen, welche positive Wirkungen verstärken bzw. unerwünschte Wirkungen abschwächen können.
Grüntee mit Chrysantemenblüten (chin. ju hua): verstärkt die kühlende und beruhigende Wirkung auf das Leber-Yang; besonders geeignet bei Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Schwindel, geröteten Augen oder Wutanfällen auf Grund von Leber-Feuer oder aufsteigendem Leber-Yang.
Grüntee mit Minze oder chinesischer Minze (chin. bo he): verstärkt die befreiende und beruhigende Wirkung auf das Leber-Qi und Leber-Yang; besonders geeignet bei Sommerhitze, Problemen an Kopf und Augen sowie übler Laune.
Grüntee mit Gojibeeren (chin. go qi zi): vermindert die trocknende Wirkung, schützt das Blut und das Yin; besonders geeignet für Menschen mit Blut-Mangel oder Trockenheit, die trotz allem Grüntee trinken möchten; sehr gute Kombi für rote und trockene Augen.
Grüntee mit schwarzem Sesam (chin. hei zhi ma): vergleichbar mit den Gojibeeren auch für Trockenheit und Blutmangel ideal; der Sesam wir kurz geröstet.
Grüntee mit Weißdornfrüchten (chin. shan zha): verstärkt die verdauungsfördernde Wirkung für fette Speisen, verhindert die Stagnation von Speisen im Magen, verstärkt außerdem die positive Wirkung für Herz und Kreislauf.
Grüntee mit Mandarinenschale (chin. chen pi): verstärkt sowohl die verdauungsfördernde als auch die Schleim (tan) lösende Wirkung. Durch die wärmende Natur der Mandarinenschale wird die kühlende Wirkung zudem abgefangen. Statt der chinesischen Mandarinenschale können auch frische Schalen von unbehandelten Zitrusfrüchten verwendet werden.
Grüntee mit frischem Ingwer (chin. sheng jiang): verstärkt die verdauungsfördernde Wirkung und gleicht die kühlende Wirkung des Tees vollkommen aus.
Grüntee mit geröstetem Rein (jap. Genmaicha): unterstützt die Verdauung, fängt die kühlende Wirkung ab und … schmeckt fantastisch!