Auf der Suche nach Heilmitteln haben die Chinesen über mehrere Jahrtausende quer durch die Botanik und die Zoologie praktisch alles ausprobiert, was es zu probieren gibt. Die Materia Medica, die so zusammengekommen ist, sucht weltweit ihresgleichen und ist sicher noch für manche Überraschung gut. Einige der TCM-Kräuter allerdings haben es im Westen schon heute zu großer Berühmtheit gebracht, so die kleine Goji-Beere (chin. gouqizi 枸杞子), die Frucht des Gemeinen Bocksdorn, Lycium barbarum und Lycium chinense. Das Allheilmittel, als welches sie bisweilen gepriesen wird, ist sie zwar nicht, aber doch außergewöhnlich wertvoll. Vor allem hat die Goji-Beere eine sehr ausgeglichene, harmonische Wirkung auf den Organismus und daher in der Anwendung wenige Kontraindikationen. Diese Eigenschaft rückt sie in die Nähe der Adaptogene. Das sind Heilmittel, welche die Funktionalität des Organismus verbessern und seine Ressourcen vermehren, aber ohne sein inneres Gleichgewicht in eine bestimmte Richtung zu verschieben. Bekannte Vertreter dieser Gruppe sind Ginseng, Rhodiola und Cordyceps; die Goji-Beere ist sozusagen die kleine Schwester dieser großen Brüder. In China ist sie sowohl als Zutat in Heilkräuterrezepten als auch in alltäglichen Suppen und Tees sehr beliebt. Sie positioniert sich also – wie viele andere chinesische Heilkräuter auch – mit einem Bein in der Küche und dem anderen in der Apotheke.
Wertvoll an der Goji-Beere ist zunächst einmal ihre außergewöhnliche Fähigkeit, Blut und Yin zu nähren, also die große Fülle an Nährstoffen. Besonders wertvoll ist Gouqizi dabei, weil es im Vergleich zu anderen Yin nährenden Mitteln (zum Beispiel dem schwarzen Sesam, über den ich schon geschrieben habe) relativ leicht verdaulich bleibt und die Milz nicht allzu stark belastet. Nur bei Durchfall und Blähungen sollte man trotz guter Verträglichkeit mit der Goji-Beere sparsam umgehen. Eingesetzt werden kann die Beere als allgemeines Blut-Tonikum, so zum Beispiel bei Anämie, Schwindel, Abmagerung oder Schwäche. Nach den Erfahrungen der TCM wirkt sie aber vor allem dann, wenn es darum geht, das Yin des Funktionskreises Niere und das Blut des Funktionskreises Leber zu nähren.
Beim Funktionskreis Leber geht es besonders um zwei Bereiche: um die Augen und um die Fruchtbarkeit der Frau. Was die Augen betrifft sind die Indikationen für Gouqizi laut TCM breit gefächert und reichen von Trockenheit über Nachtblindheit und allgemeine Sehschwäche bis hin zu unscharfem Sehen durch eine beginnende Trübung von Linse oder Hornhaut. Im Bereich der Fruchtbarkeit wird die Wirkung über eine Mehrung des Blutes erklärt und greift dann, wenn der Organismus auf Grund eines Blutmangels im Funktionskreis Leber an der Menstruation „spart“. Wenn die Regelblutungen also spärlich und/oder die Abstände zwischen den Blutungen länger werden, oder aber wenn der Zyklus über mehrere Monate ganz aussetzt, dann ist Gouqizi laut TCM ein Mittel der Wahl.
Auch in der Zeit nach der Geburt und während dem Stillen tut eine Extraportion Blut in Form von Gojibeeren sowohl Kind als auch Mutter gut. Dem Kind, weil die Nährstoffe der Goji-Beeren die Muttermilch bereichern und so von Anfang an das Wachstum der Knochen und die Entwicklung der Zähnen (Nieren-Yin), sowie die Entwicklung von Muskeln und Sehnen (Leber-Blut) unterstützen; der Mutter, weil dadurch Baby-Blues, Haarausfall und die (boshaft so genannte) Stilldemenz vermindert werden können. Übrigens: auch bei größeren Kindern unterstützt eine kleine Handvoll Goji-Beeren täglich die Entwicklung eines starken Körperbaus. Die Beeren können statt der Rosinen ins Müsli, in einen Kuchen oder auch in selbst gebackenes Brot gegeben werden, außerdem gibt es inzwischen im Handel wunderbare Goji-Marmeladen, die bestimmt jedem Kind schmecken.
Wertvolle Dienste erweist die Goji-Beere nach der TCM außerdem immer dann, wenn es durch eine Schwäche von Blut und Yin zu einem Hochfahren des Leber-Yang kommt, also in vielen Fällen von Kopfschmerzen oder Bluthochdruck und ganz allgemein in den Wechseljahren. Hier ist ein in China sehr beliebter Tee ideal: Goji-Beeren werden zusammen mit chinesischen Crysanthemenblüten (chin. ju hua 菊花) aufgebrüht und bringen regelmäßig getrunken Yin und Yang wieder ins Gleichgewicht.
Auch was die Steigerung der Fruchtbarkeit bei Männern betrifft, kann Gouqizi eingesetzt werden, allerdings wechseln wir hier in den Einflussbereich des Funktionskreises Niere. Hier wirkt die Goji-Beere zwar wie bereits gesagt vor allem als ein Tonikum des Yin, hat aber auch eine unterstützende Wirkung auf das Nieren-Yang. Deshalb wird sie in China auch oft ganz einfach als ein allgemeines Stärkungsmittel eingesetzt, ohne viele Unterscheidungen zu machen. Nach der TCM kann die Goji-Beere die Spermamenge steigern, was am Nieren-Yin, vor allem aber am Jing, der Essenz, hängt. Selbst diese wohl kostbarste aller Substanzen soll die Goji-Beere zu mehren im Stande sein, ein Ruf, den nach der TCM nur sehr wenige, besonders wertvolle und verehrte Heil- und Nahrungsmittel teilen. In China wird die kleine rote Beere sowohl als leichtes Aphrodisiakum, als auch als Potenz steigerndes Mittel eingesetzt, letzteres dank ihrer yinnigen Natur mehr zum Vorteil der Ausdauer als der Kraft. Die Fähigkeit, das Yin der Niere zu nähren, steht auch hinter den Empfehlungen von Gouqizi bei Altersdiabetes und Schwäche oder Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Knie.
Die größte Berühmtheit aber hat Gouqizi sowohl in China als auch im Westen durch seine Wirksamkeit im Well-Aging und – das steht vor allem in den letzten Jahren immer mehr im Focus der Untersuchungen – in der Krebsprävention erreicht. Aus wissenschaftlicher Sichtweise erklären sich diese Wirkungen wenigstens teilweise durch den sehr hohen Gehalt an Antioxidantien, welche freie Radikale unschädlich machen und dadurch die Alterung der Zellen verlangsamen können. Außerdem stärkt die Goji-Beere das Immunsystem, welches in der Entstehung von Tumoren eine zentrale Rolle spielt. In der TCM gibt es zwar traditionell keine biochemischen Erkenntnisse über die Inhaltsstoffe der Goji-Beere, doch dass Menschen, die regelmäßig und über Jahre hinweg diese kleine Beere zu sich nehmen, länger und gesünder leben, sind Erfahrungswerte an denen zumindest in China wenige ernsthaft zweifeln dürften. Und dass sie schöner sind, denn die Goji-Beere gilt in der TCM als ausgezeichnetes Mittel für eine schöne Haut. Ein Apfelkompott mit Goji-Beeren oder ein Apfel-Goji-Saft sind demnach eine sehr gute Sache gegen Fältchen und für einen schönen Teint.
Kritische Stimmen werden in Bezug auf die chinesischen Kräuter immer dann laut, wenn es um die Qualität geht. Zu Recht, denn die chinesischen Produktionsmethoden entsprechen oft nicht unseren europäischen Standards für Lebensmittelsicherheit. Es ist also wichtig, vor dem Kauf der Beeren Informationen über Herkunft und Produktionsmethoden einzuholen. Oder man greift auf die – allerdings teureren – Beeren aus europäischem Anbau zurück. Wer einen etwas grüneren Daumen hat als ich, kann sich auch gleich selbst eine Pflanze in den Garten holen, auch wenn die Pflege des Bocksdornstrauchs dem Sagen nach nicht ganz einfach sein dürfte.
Hallo Karin, wo finde ich dein tolles Rezept für Rote Grütze mit Gojibeeren, das du vor längerer Zeit veröffentlicht hattest?
Hallo, das findest du in meinem Buch „Das Blut nähren“.
Liebe Grüße
Karin
Goji Beeren sind so wunderbar. Danke für die echt tollen Tipps! Macht weiter so, jeder Artikel von Euch ist fundiert und man lernt viel dazu.
mega spannend deine Beiträge, danke dir 🙂
Vielen Dank für den tollen, ausführlichen und so lehrreichen Artikel!