Rechtzeitig zur Weihnachtszeit wird es hier noch mal richtig süß. Der Honig (auf Chinesisch feng mi 蜂蜜) spielt in der Chinesischen Medizin seit jeher eine wichtige Rolle, so wie wohl in mehr oder weniger allen traditionellen Heilsystemen. In der chinesischen Heilkräuterkunde wird Honig sehr häufig dazu verwendet, um aus getrockneten, pulverisierten Kräutern Pillen zu formen, um Abkochungen als Sirup zu konservieren oder aber – wie Süßholz und Jujuben – um in manchen Heilkräutern vorhandene schädliche Substanzen zu neutralisieren.
Selbstverständlich hat der Honig auch in der Ernährungslehre der TCM seinen festen Platz und man kennt seine Wirkungen auf das innere Gleichgewicht. Zum Teil haben diese Wirkungen schlichtweg mit der Süße des Honigs zu tun, das heißt, der Honig hat sie zum Beispiel mit dem Zucker gemeinsam. Zum Teil aber geht es um Wirkungen, die nur den Honig auszeichnen und ihn zu dem äußerst wertvollen Nahrungsmittel machen, als das er überall auf der Welt bekannt ist.
In der TCM werden jedem einzelnen Geschmack bestimmte Wirkungen zugeordnet, so auch dem süßen. Beginnen wir beim Kennenlernen des Honigs also mit den Wirkungen des süßen Geschmacks. Süße Nahrungsmittel, so auch der Honig, tonisieren das Qi, in anderen Worten: sie geben Kraft. Wir können diese Wirkung ganz banal auf die Kalorien des Honigs schieben (mit einem höheren Zuckeranteil als Haushaltszucker ist er natürlich eine Kalorienbombe), doch weiß die TCM, dass der Honig darüber hinaus das Qi der Funktionskreise Milz und Magen stärkt, also die Verdauung, ebenso wie das Qi der Lunge. Diese Qi stärkende Wirkung (die übrigens auch der Zucker besitzt), gilt aber nur dann, wenn der Honig in kleinen Mengen konsumiert wird. Im Übermaß genossen kehrt sich die positive rasch in eine negative Wirkung um, die dann wiederum vor allem die Verdauung schwächt. In der richtigen Dosis aber empfiehlt die TCM den Honig gegen Müdigkeit und Erschöpfung, bei Appetitlosigkeit und einer allgemein schwachen Verdauung ebenso wie zur Kräftigung des Funktionskreises Lunge bei Kurzatmigkeit oder Asthma.
Eine weitere Wirkung, die dem süßen Geschmack zugeschrieben wird und auch den Honig auszeichnet, ist eine entspannende, krampflösende und harmonisierende. In den Worten der TCM liegt diese Wirkung irgendwo zwischen dem Auflösen einer Qi-Stagnation und dem Beruhigen des Geistes (shen). Honig kann deshalb bei Schmerzen oder Krämpfen eingesetzt werden, ebenso bei Anspannung, Stress und stressbedingten Schlafstörungen.
Eine dritte Wirkung, die der Honig mit anderen, sehr süßen Nahrungsmitteln teilt, ist seine stark befeuchtende Natur. „Befeuchten“ ist dabei die ins Negative tendierende Bezeichnung, die an überschüssige und störende pathologische Substanzen denken lässt, eben das, was die TCM als Feuchtigkeit beschreibt. Positiv ließe sich auch sagen, dass der Honig Yin und Säfte nährt, also wertvolle und notwendige Substanzen. Um nur die positiven, nährenden Wirkungen auskosten zu können, ist es wichtig, den Honig (ebenso wie andere sehr süße Nahrungsmittel auch) nur in kleinen Mengen zu konsumieren und immer darauf zu achten, dass keine übermäßige Feuchtigkeit entsteht. So eingesetzt ist der Honig sehr hilfreich bei Trockenheit in den Funktionskreisen Lunge und Dickdarm, also zum Beispiel bei trockenem, vor allem nächtlichem Husten (hier zum Beispiel in Kombination mit Birne, Milch oder Mandeln), oder bei Verstopfung mit trockenen Stühlen (hier bietet sich die Kombination mit Sesam oder Walnüssen an). Die befeuchtende Wirkung im negativen Sinne spürt man in denselben Bereichen, nämlich als eine übermäßige Verschleimung der Atemwege und Durchfall oder Blähungen, beides übrigens auch Kontraindikationen für den Einsatz von Honig in der Ernährung.
Soweit die „süßen“ Wirkungen des Honigs. Drei weitere Wirkungen möchte ich kurz anführen, weil sie den Honig so wertvoll machen: er löst Schleim, klärt Hitze und er entgiftet.
Die Schleim lösende Wirkung des Honigs macht ihn insgesamt zu einem sehr guten Lungen-Mittel: er stärkt das Lungen-Qi, befeuchtet eine trockene Lunge und löst festsitzenden Schleim. Zum Lösen von Schleim wird der Honig in der TCM entweder mit weiteren befeuchtenden (und deshalb den Schleim verdünnenden) Mitteln kombiniert, so zum Beispiel mit Milch oder Mandeln, oder mit scharfen, bewegenden, etwa Rettich, Kren oder Zwiebeln. In diesem Sinn kann er bei einem Husten mit schwer abzuhustendem Auswurf helfen oder bei einer Sinusitis, die sozusagen „feststeckt“. Das einzige Lungen-Muster, bei dem Honig nicht empfohlen werden kann, ist feuchter Schleim, also ein üppiger, wässriger Auswurf oder eine wässrig rinnende Nase; in diesem Fall würde der Honig die Symptome wahrscheinlich verschlimmern.
Dass der Honig Hitze klärt, würde man aus seiner Klassifizierung in der TCM nicht gleich erkennen, denn seine thermische Natur ist neutral, während die Hitze klärenden Mittel meist als kalt oder wenigstens kühlend klassifiziert werden. Beim Honig aber ist die Hitze klärende Wirkung mit keiner insgesamt kühlenden verbunden. Die Fähigkeit des Honigs Hitze zu klären würden wir in modernen Begriffen als eine antimikrobielle, antivirale und fungizide Wirkung beschreiben. Ihr verdankt der Honig seine Indikation zur Behandlung der Haut und insbesondere von Wunden und Brandwunden. Über viele Jahrhunderte und in mehreren Studien hat sich Honig in der Pflege von Wunden bewährt, zur Vermeidung einer Wundinfektion ebenso wie zur Verringerung der Narbenbildung. Auch im Magen wirkt der Honig einer Infektion durch den Helicobacter pylori entgegen (noch wirksamer in Kombination mit Propolis), was nach der TCM einem Klären von Magen-Hitze und einem Nähren des Magen-Yin entspricht.
Auch die entgiftende Wirkung des Honigs hat in der Logik der TCM etwas mit seiner antiseptischen Funktion zu tun, denn alle Infektionen bilden Hitze und können auch zu toxischer Hitze führen. Die entgiftende Wirkung des Honigs geht aber darüber hinaus. Neben dem Unschädlichmachen einiger giftiger Substanzen, auf das wir schon hingewiesen haben, hilft der Honig dabei, Gifte über den Darm auszuleiten, eine Wirkung, die besonders dem Funktionskreis Leber zu Gute kommt. Ein sehr gutes Hausmittel zur Entgiftung, dessen Kombination auch nach der TCM äußerst sinnvoll ist, ist ein Getränk mit Apfelessig und Honig, in dem die positiven Wirkungen dieser beiden wertvollen Nahrungsmittel sich gegenseitig ergänzen und potenzieren.
Einen Hinweis noch zur Qualität. Es wird meines Wissens nach in der TCM zwar nicht (wie in der Ayurvedischen Medizin) vor erhitztem Honig gewarnt, doch empfiehlt man auch hier die Verwendung von rohem Honig. Erhitzter, pasteurisierter Honig verliert viele seiner positiven Wirkungen, so kann er vor allem keine Hitze mehr klären und den Schleim nicht bewegen. Außerdem wirkt er sehr viel stärker befeuchtend, wird also eine größere Belastung für Milz und Lunge. Außerdem sollte bei Honig immer darauf hinwiesen werden, dass auch schon relativ kleine Mengen Honig für Kleinkinder unter 12-18 Monaten sehr gefährlich sein können, da er in seltenen Fällen den Erreger Clostridium botulinum enthält, der in diesem Alter zu Infektionen führen kann. In diesem Fall kann das Erhitzen des Honigs zwar als einen gewissen Schutz bieten, noch sicherer aber ist es, für Babys auf Malz oder Vollrohrzucker auszuweichen.