Einen Artikel über die Kinder zu schreiben, heißt natürlich zu verallgemeinern. Unter den Kindern gibt es solche und solche, genau wie bei Erwachsenen auch. Und doch: bestimmte Merkmale haben die meisten Kinder gemeinsam und manche Ungleichgewichte sind so häufig, dass sie im Kindesalter als physiologisch, als „normal“ gelten können. Zwei Gruppen von Ungleichgewichten scheinen mir besonders wichtig, ihnen widme ich diesen und einen kommenden Artikel: zum einen geht es um das (fehlende) Yang, zum anderen um das (fehlende) Yin.
Wer versucht, die für Kinder typische energetische Situation in einem Satz zu beschreiben, weist meist darauf hin, dass sie ein starkes, ja sehr starkes Yang besitzen. Das stimmt sicherlich, was die Funktionskreise Leber und Herz betrifft. Diese beiden tendieren auch bei Erwachsenen noch zu einem Übermaß von Yang (in der TCM „Hitze“ oder gar „Feuer“ genannt), eine Situation, die bei Kindern sehr häufig vorkommt. Doch darüber dann im nächsten Artikel. Heute konzentrieren wir uns auf jene Funktionskreise, in denen am Yang meist ein Mangel herrscht. Es handelt sich um drei Funktionskreise, die übereinandergestapelt eine Art „Säule des Yang“ ergeben: die Wurzel des Yang in der Niere, Qi und Yang der Milz und das Qi der Lunge (bei letzterer spricht man nicht von einem Yang, nur vom Qi). Die Schwäche von Yang und Qi in diesen drei Funktionskreisen ist meist in den ersten zwei bis vier Lebensjahren besonders spürbar, zieht sich manchmal aber auch bis zur Schulreife hin und bei entsprechender Konstitution und ungünstiger Lebensweise natürlich auch darüber hinaus und bis ins Erwachsenenalter hinein.
Zeichen und Symptome
Dass das Yang der Niere bei der Geburt noch nicht voll ausgereift ist, lässt sich leicht daran erkennen, dass menschliche Säuglinge bei der Geburt nicht stehen oder gehen können und dies nicht allein wegen fehlender Balance, sondern auch weil schlicht die Kraft dazu fehlt. Noch länger als auf die Kraft in den Beinen warten Eltern meist darauf, dass ihre Kleinen volle Kontrolle über die „unteren Öffnungen“ erlangen, sprich über den Abgang von Stuhl und Urin, auch dies ein Zeichen für die späte Reife des Funktionskreises Niere. Viele Anzeichen für eine Schwäche des Nieren-Yang sind von Kind zu Kind unterschiedlich stark ausgeprägt. Aus der Sicht der Chinesischen Medizin sind Kinder, die erst besonders spät laufen lernen oder sauber werden, ängstliche, blasse und unter Kälte leidende Kinder ebenso wie Bettnässer besonders von diesem Ungleichgewicht der Niere betroffen. Und da der Funktionskreis Niere mehr als andere von der Konstitution bestimmt wird, gibt es dazu sehr häufig eine Familiengeschichte.
Die Qi- und Yang-Schwäche des Funktionskreises Milz betrifft die Verdauung. Auch in diesem Bereich ist eine Schwäche gerade in den ersten Lebensmonaten völlig normal. Der Stuhl ist in dieser Zeit meist breiig und enthält (sofern das Kind schon abgestillt wurde) häufig unverdaute Nahrungsreste. Auch die Koliken in den ersten Lebensmonaten, Ursache vieler Leiden bei klein und groß, haben mit dieser Schwäche der Milz zu tun. Nach den ersten zwei bis drei Lebensjahren stabilisiert sich die Situation der Milz und die Verdauung läuft besser. Was relativ lange erhalten bleibt, ist die starke Lust auf Süßes, die mit einer mangelnden Bereitstellung von Qi durch die Milz zusammenhängt, und die Tendenz, leicht eine Nahrungsstagnation zu erleiden, sich also auf gut deutsch leicht den Magen zu verderben. Kinder, deren Milz besonders schwach ist, fallen oft durch einen sehr schlechten Appetit und Untergewicht auf, beides Anzeichen einer Milz-Schwäche, die sich bei derselben Schwäche im Erwachsenenalter sehr viel seltener zeigen und sich dann oft sogar ins Gegenteil verkehren, also in Übergewicht.
Das Qi der Lunge schließlich ist dafür zuständig, die Flüssigkeiten, die sich dort ansammeln, unter die Haut und nach unten zu leiten, wo sie entweder ausgeschwitzt oder als Urin ausgeschieden werden. Die TCM vergleicht die Lunge mit einem Deckel, an dem der Wasserdampf kondensiert und abrinnt. Was bei einer Schwäche des Lungen-Qi passiert, ist also, dass die Flüssigkeiten liegenbleiben und als Schleim (auf Chinesisch tan) sichtbar werden. Der Schleim rinnt aus der Nase, verstopft Tuben und Nasennebenhöhlen und verlegt die Atemwege; er blockiert den Funktionskreis Lunge und macht ihn anfällig für Erkrankungen, die für unsere Kinder leider schon in erschreckendem Ausmaß als typisch und „normal“ gelten: Nasennebenhöhlenentzündung, Bronchitis, Mittelohrentzündung. Besonders schlimm ist es mit dem Verschleimen, wenn eine ungünstige Ernährung und eine völlig überlastete Milz viel „Feuchtigkeit“ in die Lunge schaffen.
Die Schwäche in der Lunge geht oft auch mit einer Abwehrschwäche einher, was nach der Chinesischen Medizin mit einer Schwäche des Abwehr-Qi (wei qi) erklärt wird. Diese Schwäche kann in Kombination mit einem schwachen Nieren-Yang zu einer Anfälligkeit für Erkältungskrankheiten führen oder aber – wohl auch auf Grund der Schwäche in der Milz – zu allergischen Reaktionen auf Nahrungsmittel, die sich zum Glück sehr oft bis zum Einschulungsalter „auswachsen“.
Soweit also die Symptome und Zeichen der Schwächen im Yang, überlegen wir nun, wie wir speziell bei Kindern das Yang und die betroffenen Funktionskreise möglichst kräftig unterstützen können.
Die Bedeutung der Abhärtung für das Yang
Eines der wichtigsten Hilfsmittel, um das Nieren-Yang bei Kindern auf Vordermann zu bringen, ist die Kälte. Kinder reagieren sehr schnell und gut auf klimatische Einflüsse, so auch auf die Kälte. Das ist von der Natur wohl so eingerichtet, weil ein Baby, solange es noch in Mamas Bauch auf den großen Auftritt wartet, im Prinzip nicht weiß, ob es in Alaska landet oder in Kenia. Die Kälte bringt den Körper dazu, seine Ressourcen nach innen zu lenken und zu speichern, wodurch vor allem das Yang der Niere gestärkt wird. Praktisch alle nordischen Völker machen sich diese Tatsache zu nutzen, indem sie ihre Kinder abhärten. Die Abhärtung funktioniert natürlich auch bei Erwachsenen, bei Kindern aber ist sie noch viel wichtiger.
Wie funktioniert Abhärtung? Es braucht Kälte, allerdings darf diese nicht in das Innere des Körpers eindringen, sie muss draußen bleiben. Das heißt konkret, das Kind sollte, während es sich der Kälte aussetzt, nicht auskühlen, der Körper sollte warm bleiben. Die allereinfachste Methode um das zu erreichen, ist es, Kinder in der kalten Jahreszeit zum Spielen nach draußen zu schicken und sie dabei nicht übermäßig warm anzuziehen. Auch Wintersport im Freien hat eine vergleichbare Wirkung, allerdings ist es nicht nötig, sich dabei stark anzustrengen. Bei sehr kleinen Kindern kann die Abhärtung auch nur dadurch erreicht werden, dass das Kind bei jedem Wetter täglich mehrere Stunden im Freien verbringt (zum Beispiel beim Spazierengehen) und dort tagsüber auch seine Schläfchen abhält. Es kann dabei ruhig warm eingepackt werden, der Kontakt über die Atemluft reicht aus, um dem Körper das Signal der Kälte zu übermitteln.
Mit der Bewegung im Freien bekommen die Kinder gleich noch zwei Dinge mit, die für ein gesundes Yang enorm wichtig sind: ausreichend Bewegung und viel Sauerstoff, also eine tiefe Atmung an der frischen Luft.
Die richtige Ernährung für das Yang
Kommen wir nun zur Ernährung. Hier gelten bei kleinen Kindern allgemein zwei wichtige Richtlinien, die bei einem besonders schwachen Yang und/oder Qi umso strikter eingehalten werden sollten: 1. nicht zu stark kühlen und 2. nicht zu viel befeuchten. Ersteres erreicht man sehr leicht dadurch, dass kühlende Nahrungsmittel, Speisen und Getränke weggelassen oder wenigstens stark reduziert werden. Stark kühlende Nahrungsmittel sind bestimmte Obstsorten (Banane, Kiwi, Kaki, Melone, Zitrusfrüchte), bestimmte Gemüsesorten (Gurken, Tomaten, Blattsalat), außerdem Joghurt und die meisten Fruchtsäfte. Wird mit diesen Nahrungsmitteln gekocht, verringert sich die kühlende Wirkung etwas. Ganz allgemein sind auch gekühlte Getränke oder Speisen problematisch, allen voran natürlich das Eis.
Was die befeuchtende Wirkung der Speisen betrifft, so gibt es nach der TCM drei Spitzenreiter: Süßes (also Zucker, Honig usw. wobei mildere Süßmittel zu bevorzugen sind), Milchprodukte und Weizenmehl (Dinkelmehl befeuchtet zwar etwas weniger, aber doch auch). Besonders Kombinationen dieser drei Gruppen haben es in sich, den Funktionskreis Milz und in der Folge auch die Lunge mit Feuchtigkeit und Schleim zuzukleistern. Diese besonders schlimmen und bei Kindern meist durch die Bank besonders beliebten Sachen nenne ich die „Milz-Mörder“. Es sind: Pudding, Fruchtjoghurt, Milchschokolade, Fruchtsäfte, soft drinks, Speiseeis, süße Mehlspeisen, Trinkschokolade, süß-fette Brotaufstriche, und natürlich alle anderen Arten von Süßigkeiten, vom Gummibärchen bis zum Schokoriegel. Wenn Ihr Kind zu einer Milz-Schwäche und Feuchtigkeit neigt, sollte es diese Speisen nur zu besonderen Anlässen geben, nicht aber täglich. Ich habe selbst Kinder und weiß, was viele Eltern jetzt denken werden: reden ist leicht, das Umsetzen ist schwer. Nutzen Sie die ersten Jahre, danach werden Sie nie wieder so leicht kontrollieren und mitbestimmen können, was Ihr Kind isst oder nicht isst. Außerdem hilft es, wenn die Eltern selbst überzeugt sind von dem, was sie dem Kind erzählen und es auch vorleben. Meiner Erfahrung nach geschieht der weitaus größere Teil von Ernährungsfehlern bei Kindern nicht aus Unwissenheit, sondern auf Grund von erzieherischen Problemen. Die Eltern wissen also eigentlich schon, was ihr Kind essen oder nicht essen sollte, sie können sich dem Kind gegenüber aber nicht durchsetzen. In solchen Fällen hilft leider auch eine Ernährungsberatung nicht sehr viel.
Und hier geht es zum zweiten Artikel über die Gesundheit der Kinder, zum Thema Yin.